Dreihundertfünfundsechzig

Ziemlich genau kann ich mit noch an einen Tag im letzten Jahr erinnern, das Datum wahrscheinlich für ewig ins Gehirn gebrannt: der 6. November 2013.
Der Tag auf den ich mich monatelang gefreut hatte und der am Ende doch so schnell kam.
Ich weiß noch ganz genau wie der Tag ablief, was ich in welcher Reihenfolge gemacht habe und was in meinem Inneren abging....

Genau ein Jahr ist das jetzt her. Ein Jahr schon? So schnell vergangen. Das denkst du dir jetzt in diesem Augenblick vielleicht?!

Ich stand hoch oben im Turm der Erlöserkirche über den Dächern von Jerusalem und lauschte dem Gesang des Muezzin. Wandelte auf den Pfaden von Indiana Jones und Millionen von Kamelen durch die antike Felsenstadt Petra. Verlief mich in den Gassen von Bangkok, Hanoi und all den anderen kleinen und großen Städten, tanzte am Strand, schwamm und kletterte durch riesige und wunderschöne Höhlen, fuhr mit dem Fahrrad durch die gigantischen Tempelanlagen in Angkor Wat und durchs grüne Mekong Delta, schlief in Holzhütten am Strand, kletterte mitten in der Nacht auf einen verdammt hohen Berg, wanderte durch Wüsten und Dschungelgebiete, schufftete für ein paar Dollar in Hotels und wohnte in meinem eigenen Auto.

Das und noch so viel mehr war mein letztes Jahr. 365 Tage.

Tage, die ich genossen und bewusst gelebt und erlebt habe.
Außer meine Zeit in Neuseeland. 6 Monate habe ich dort gelebt. Und 5 davon gearbeitet. Viel gearbeitet. Ein Tag reihte sich an den nächsten. Es gab Highlights und tolle Momente während dieser Zeit, keine Frage, aber generell vergingen die Monate dort so rasend schnell, dass es für mich immer noch unvorstellbar ist, dass ich insgesamt die Hälfte meines Auslandsjahres in diesem Land verbrachte.

Dieses Beispiel beweist mir mal wieder, wie sehr man mit zu viel Arbeit sein Leben verschwenden kann. Natürlich brauchen wir alle Geld um Leben zu können, aber was haben wir davon, wenn wir 10 Stunden unseres Tages im Büro sitzen? Wir haben 10 Stunden unseres Lebens verloren. Und rutschen bei besonders viel Arbeitseifer evtl. ein paar Gehaltsstufen höher. Und können uns einen noch größeren Fernseher leisten, ein besseres Telefon. Eine größere Wohnung. Und sind nach der Arbeit so geschafft, dass wir zu Hause auf die Couch fallen. Auf die Designercouch. Und sind froh darüber, den Tag hinter uns gebrach zu haben. Und sind glücklich? Nein, uns graut es wahrscheinlich vor dem nächsten Tag. Das frühe Aufstehen, im Stau stehen, der Termin mit dem Kunden. Sehnen das Wochenende herbei. Zwei Tage Freiheit. 

Natürlich mag ich Luxus und Komfort. Wer das bestreitet, der lügt in meinen Augen. Fühle mich wohl hier am Tisch mit meinem Latte Macchiato, Blick auf Pool und Lake Toba, schickem Resort mit lecker Frühstücksbuffet und Auflagen auf den Poolliegen. Beneide bei jedem Flug die Passagiere in der Business Class und hätte mir so gern den Desigual-Rock in Singapore für 70 Euro gekauft.

Aber das ist Luxus. Der Mensch benötigt eigentlich keinen Luxus. Der Mensch benötigt Essen und Trinken, wärmende Kleidung, wenn es kalt ist, eine gesunde Umwelt, um nicht krank zu werden und das menschliche Miteinander für die Seele und Geist. Alles andere sind Annehmlichkeiten und Gewohnheit.

Letztendlich sind es doch Augenblicke und Erlebtes, dass einem im Gedächtnis bleibt, Auf die/das man sein ganzes Leben lang freudig zurückblickt.

Bei mir sind es für das letzte Jahr zum Beispiel die, die ich da ganz oben beschrieben habe.

Manchmal fragen mich Indonesier was ich beruflich mache. Mir ist dann oft unangenehm die Wahrheit zu sagen und ich verheimliche, dass ich arbeitslos bin. Werde ich doch eh schon als super reich angesehen. Und dann auch noch Lange reisen können ohne zu arbeiten?

Ich bin mir mittlerweile absolut klar darüber, dass ich mit all diesen Erlebnissen eine von wenigen Privilegierten dieses Planeten bin, die sich die ganze Reiserrei einfach so leisten kann. Ich musste nur ein bisschen auf Luxus und Annehmlichkeiten für ein paar Monate verzichten und konnte somit relativ schnell viel Geld sparen um meine Reise teilzufinanzieren. Und wenn mir das Geld ausgeht, dann kann ich zurück in mein Heimatland und bekomme auch noch Geld vom Staat, während ich mir in aller Ruhe einen neuen Job suchen kann. Toll, oder? Danke Deutschland. Und nicht nur für deine finanzielle Unterstützung, nein, danke für sauberes Trinkwasser, günstige Lebensmittel, eine gute Schulbildung, saubere Straßen. Für die medizinische Versorgung, für Regeln und Vorschriften. Für unkorrupte Polizisten und Beamte und dafür, dass Homosexuelle offen zu Ihrer Sexualität stehen dürfen.

Ich vermisse Deutschland. Manchmal. Und die Freunde und Familie natürlich. Aber ich will noch nicht nach Hause kommen, wenn ich nach Hause komme, dann ist der Zauber vorbei und ich werde wahrscheinlich genau wieder da weiter machen, wo ich aufgehört habe. Und mich nach der Arbeit auf meine Couch schmeißen und mich auf die zwei Tage Freiheit in der Woche freuen.

Ok, vielleicht male ich zu schwarz, aber im Moment genieße ich einfach weiterhin die Freiheit und lasse mich noch ein bisschen treiben. Es gibt doch noch sooooo viel zu sehen da draußen. Ich bin wie ein Junkie, kann nicht genug bekommen, will immer mehr....

Zur Feier des Tages geht es heute Nacht auf den Vulkan Merapi, von dessen Spitze wir hoffentlich einen gigantischen Sonnenaufgang erleben werden. Bitte kein Regen!

Ich hoffe, dass sich niemand durch diesen Artikel angegriffen fühlt. Es geht hier um mein Leben. Und dass ich in den letzten 365 Tagen viel gelernt habe. Viel über mich, über andere Menschen und ein kleines bisschen über die Welt.

Und sie ist nicht immer himmelblau, nein, sie ist kunterbunt!





....und da ich weiß wie geil einige meiner Blogleser auf Fotos sind, gibts hier unten ein Best-of des letzten Jahres. Es sind nicht unbedingt die photografisch besten Bilder, aber die Bilder zeigen besondere Momente, die meine Reise zu dem gemacht hat was es ist: ein unvergessliches Erlebnis!





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Kommentare: 11
  • #1

    STO (Donnerstag, 06 November 2014 06:31)

    1 Jahr.... man- ist das schnell vorbei gegangen! Genieße einfach weiter die Zeit- mehr braucht man dazu wohl nicht zu sagen.... einfach super geschrieben und die Bilder sind wie immer klasse!

  • #2

    Dieter (Sonntag, 09 November 2014 13:59)

    Moin, Wahnsinn schon ein Jahr.....Toll! Wir wünschen Euch weiterhin eine tolle
    erlebnisreiche Zeit und freuen uns auf weitere Blogeinträge. Lg aus HH

  • #3

    Monstermoscher (Montag, 10 November 2014 21:21)

    Ein großartiger Beitrag!!! Ein kleines Liebesgedicht an das Leben!

  • #4

    Simple D (Mittwoch, 12 November 2014 09:30)

    Ganz recht so, kann mich dem Monstermoscher nur anschließen !
    Du machst es richtig, ich denke aber dass man auch für das "normale" Leben
    eine Leidenschaft entwickeln kann und sollte.
    Habe keine zu große Angst, irgendwann zurückzukehren, es gibt auch hier
    noch ein paar Dinge, die das Leben lebenswert machen...

    (ex Daddy D)

  • #5

    derhimmelistblau (Mittwoch, 12 November 2014 15:07)

    Danke für die Blumen.... und dass ihr auch nach einem Jahr hier immer noch fleißig Kommentare hier hereinschreibt :D!

    Wo ist Daddy D geblieben?

  • #6

    Klein-Jen (Mittwoch, 12 November 2014 15:40)

    Ein sehr, sehr schöner Text !!

  • #7

    Hamstermann (Sonntag, 16 November 2014 08:19)

    Jen.. ich denke an den Moment als wir mit Vodka Lemon in Coffee To Go Bechern an der Bushaltestelle Finkenwerder standen und mit dem Busfahrer Pause machen mussten. Der 'Rilano-Abend'. Da hast du mir von deinem Plan erzählt und ich bin glücklich zu lesen daß er sich für dich mehr als erfüllt hat und das noch kein Ende hat. Das ist dein Ding und du bist glücklich damit. Ich möchte mich aber auch Daniel anschließen. Und es gibt gute Gründe trotz manchmal nerviger Arbeit und Stau hier und für seine Leute da zu sein. Das haben mir die schweren drei Monate Krankenhaus mit meiner Mutter gezeigt.

  • #8

    Hamstermann (Sonntag, 16 November 2014 08:27)

    ... war noch nicht fertig.. Blöder Touchscreen. :-)
    Also: wichtig ist das jeder sein eigenes Glück findet und noch wichtiger ist es daß wir alle versuchen so zu leben daß dies für jeden Menschen auf dieser Welt zu jeder Zeit möglich ist. Mit Respekt und Rücksicht.
    Ich freue mich jedenfalls sehr dich hier auf deiner Reise begleiten zu dürfen und deine Rückkehr eines Tages mit einem Vodka-Lemon in Coffee To Go Bechern zu begießen.. Hauptsache ist du kommst heil zurück.
    Alles Gute euch beiden!

  • #9

    derhimmelistblau (Montag, 24 November 2014 16:59)

    Ach, lieber Hamstermann, das war ein grandioser Abend und ich hoffe sehr, dass wir bald mal wieder einen Vodka-Lemon zusammen trinken werden. Vielleicht der Umwelt zu liebe nicht aus To Go Bechern, aber mit genauso viel Spaß und "scheiß auf morgen"-denken.
    Du hast das sehr schön gesagt, dass jeder sein eigenes Glück finden muss. Und ich weiß, dass es nicht jedermanns Sache ist und Glück bedeutet einen Vulkan nachts hoch zu laufen.
    Und auch in Hamburg kann man glücklich sein, mit einem normalen Job von Montags bis Freitags. Aber nur, wenn man die richtigen Menschen an seiner Seite hat. Vermisse euch, ihr seid der Teil, der hier in meinem Leben zum absoluten Glück einfach fehlt und weshalb ich zurück kommen werde :-*

  • #10

    Goethe (Dienstag, 30 Dezember 2014 06:46)

    Willst du immer weiterschweifen?
    Sieh, das Gute liegt so nah.
    Lerne nur das Glück ergreifen,
    denn das Glück ist immer da.

  • #11

    M. (Dienstag, 13 Januar 2015 23:17)

    Toller Text!